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Im Focus – Hurra, hurra, die Gentechnik ist da

von René Graeber


Neben zahlreichen Fachzeitschriften der Medizin, Pharmazie, Naturheilkunde, Alternativmedizin und der Sportwissenschaften, lese ich auch ab und zu die „weltlichen“ Magazine und Zeitungen. Letzte Woche erregte mein Aufmerksamkeit (wieder einmal) der Focus. Der Focus fiel mir in den letzten Monaten bereits mit Titeln auf, wie: „50 Regeln für ein längeres Leben“ (Nr. 16/14), wo ein Dr. Agus allen Ernstes Entgiftung für Unsinn hält, aber Aspirin und Cholesterinsenker unter den Top 50 zur Vorsorge anführt.

Die Focus Ausgabe 03/15 überraschte mit „Wunder der Medizin“ – Neue Wege zur Heilung. Die Sache mit den Exoskeletten, die Gelähmten wieder helfen zu gehen sind auch wirklich beeindruckend – und das meine ich jetzt mal nicht ironisch. Der Beitrag „Sieg über die Hepatitis C“ machte mich schon stutziger. Zu oft habe ich in den letzten 30 Jahren von „Siegen“, „Wundern“ und „Durchbrüchen“ in der Medizin gelesen. Zur Hoffnung bei der Hepatits C habe ich übrigens hier berichtet: „Hoffnung durch “neue” Hepatitis C Therapie?

Bei so vielen „Wundern“ und „Durchbrüchen“, wundere ich mich, dass es überhaupt noch einen Kranken bei uns in Nordeuropa gibt. Die Wirklichkeit sieht doch ganz anders aus. Die chronisch Kranken werden immer mehr; und auch immer jünger. In meinen Beiträgen „Chronische Krankheiten“ und „Was unsere Kinder chronisch krank macht“ (eine Dokumentation von Bert Ehgartner) gehe ich genauer darauf ein. Es ist einfach erschreckend.

glyphosat-gift

Aber zurück zum Focus in der Ausgabe 5/14. Nach den Beiträgen zum Prostatakrebs („So bleibt der Mann stark“), bleibe ich am „Zwischenruf“ von Herrn Michael Miersch hängen: „Die Gentechnik ist längst da“. Na, das ist ja nichts Neues, denke ich mir. Natürlich beglückt uns die Gentechnik seit Jahrzehnten.

Herr Miersch wird mit dicken Buchstaben als „Naturfreund“ vorgestellt. “Das muss ich lesen”, dachte ich mir wiederum und freute mich schon auf den „Focus zur Gentechnik“.

Was ich aber dann zu lesen bekam, war eine gar nicht vielseitige, sondern ganz und gar einseitige Lobhudelei auf die Gentechnik – mit allen „Argumenten“ die uns die Gentechnikkonzerne seit Jahrzehnten einzutrichtern versuchen.

Focus oder Verzerrung?

Und so geht die Focusierung, äh… Verzerrung los:

Der Autor scheint zunächst völlig verstört zu sein, dass auf internationalen Ausstellungen Deutschland nicht das zeigt, was das Land eigentlich kann und ausmacht. Statt gentechnische Errungenschaften „Made in Germany“ zu präsentieren, werden die „Ökofreaks“ auf die Weltöffentlichkeit losgelassen. Wie zum Beispiel „auf der Expo 2015 in Mailand“. Hier wurde angeblich gezeigt, wie die Deutschen und deren politische Elite „von einem Hobbit-Idyll träumen, dessen Bewohner Energie sparen, Technik vermeiden und die Gegenwart konservieren“. Energie sparen ist bekannterweise ganz schlecht – für die Energieversorger und deren dann leere Kassen. Technik wird auch laufend vermieden, weshalb alle Menschen in Deutschland in Höhlen und auf Bäumen leben und zur Arbeit zu Fuß gehen oder in ein Dinosaurier-Taxi steigen. Darum wurden in Mailand dann auch nicht High-Tech-Produkte ausgestellt, sondern nur Biobauern, Imker und ein junger „Öko-Musterknabe“.

Unser Autor scheint sich mächtig über die Verzerrung zu ärgern, die die Überrepräsentierung der Ökofreaks bewirkt, deren Marktanteil an der realen Nahrungsmittelproduktion beziehungsweise „Lebensmittelumsatz“ in unserem Land bei nur vier Prozent liegt. Ich weiß nicht, ob diese Zahl stimmt oder nicht. Angenommen, dem wäre so, dann frage ich mich folgendes: Warum stört es den Autor, dass diese 4 Prozent in der Öffentlichkeit überbewertet werden? Warum stört es ihn nicht, dass der öffentlichen Überbewertung keine dementsprechende Steigerung der ökologischen Lebensmittelproduktion auf bessere Prozentwerte folgt? Antwort: Weil er es gut findet, dass die Realität anders aussieht als auf den Expos dargestellt. Ihn stört nur, dass die Darstellung nicht stimmt. Darum freut er sich auch, dass die Gentechnik schon längst da ist.

Denn die Gentechnik hat Vorteile, die die Ökos in ihrem Bestreben, die Gegenwart zu konservieren, einfach nicht begreifen können. Erstens ist die Natur, als deren Freund der Autor sich ausgibt, saudoof: Denn sie ist nicht in der Lage, Pflanzen herzugeben, die die Menschen ernähren können. Warum? „Seit 19 Jahren werden solche verbesserten Pflanzen für den Markt angebaut,…“ tönt unser Naturfreund. Mit ihnen ist es der Gentechnik gelungen, „Ernten zu steigern, und Pflanzenschutzmittel einzusparen“. Na, wenn das nicht mal ein Argument ist, oder? Aber es ist leicht, so etwas zu behaupten. Wo nimmt er die Gewissheit her, dass dem auch wirklich so ist? Zumindest bleibt er in seinem Artikel den Beweis oder eine entsprechende Quelle schuldig.

Statt dessen klagt er über das Abwandern der Biologen ins Ausland. Denn wie wir alle wissen, wollen alle Biologen nur noch Gentechnik erforschen. Und weil sie das hier nicht dürfen, wandern sie ab. Seltsam – wenn das stimmt, warum gibt es dann laut seinen früheren Aussagen deutsches High-Tech-Wissen in diesem Bereich, wo doch keiner danach hat forschen dürfen? Und die Motivation zum Abwandern liegt, soviel ich weiß, nicht in der Blockierung von gentechnischer Forschung, sondern in der besseren Bezahlung im Ausland und den besseren Aufstiegschancen als Wissenschaftler.

Denn wenn man in der Gen-Industrie schön lieb ist und alles macht, was die genetische Marketingabteilung verlangt, dann kann man als Wissenschaftler Karriere machen: Gekaufte Wahrheit – Gentechnik im Magnetfeld des Geldes. Denn die Gentechnik ist unsere letzte Hoffnung, ohne die wir alle verhungern werden – das sagt wer? Antwort: Die Gen-Technik und ihre Lobby.

Was man noch so alles an interessierten Vorurteilen in diesem Bereich erfahren kann, habe ich im Report über die Grüne Gentechnik Lüge zusammengetragen. Auch eine weitere blödsinnige Unterstellung, dass Gentechnik Herbizide einsparen hilft, zeigt, dass der Autor mindestens ebenso an „Ahnungslosigkeit“ zu leiden scheint, wie er es von den Gegnern der Gentechnik behauptet. Denn Beweise dafür gibt es nicht. Und der Autor verbreitet anscheinend nur das, was die Gen-Industrie auch gerne hören will. Im Englischen nennt man das „Parroting“, wie ein Papagei nachplappern, was nachgeplappert werden muss.

Verzerrender Focus

So hilflos der naturfeindliche Artikel unseres Naturfreundes auch anmuten mag, der „Focus“ scheint sich prinzipiell auf die Seite der Gen-Industrie geschlagen zu haben. Ein Artikel vom November 2014 spricht hier Bände: Studie zeigt positive Effekte der Gentechnik in der Landwirtschaft.

Aha! Wir erfahren als erstes, dass Besserwisser keine Erfahrung haben. Und da sie keine Erfahrung haben, können sie auch nicht kritisieren. Denn es gibt eine Studie, die über die nicht erfolgte Kritik der Besserwisser erhaben ist und die zeigen konnte, dass die Aussagen unseres zuvor diskutierten „Naturfreundes“ voll zutreffen. Warum?

Wir wissen ja alle, dass im ZDF-Krimi die Kommissare immer nach DNA verlangen, um einen Mordfall zu lösen, so der Focus-Ansatz. Und weil die DNA am Messer, das im Rücken des Opfers steckt, nicht lügt, können wir locker ableiten, dass überhaupt die Gentechnik nicht lügt. Denn in den USA wachsen ungelogen im großen Stil gentechnisch veränderte Pflanzen, „während sich die Deutschen in eine Art Prohibition geflüchtet haben“. Und diese Prohibitionisten behaupten auch noch frech, dass Gentechnik „das Risiko für den Verbraucher erhöht, den Einsatz von Pestiziden steigen und Einkünfte der Landwirte sinken lässt“.

Aber das ist alles gelogen. Denn eine Studie der Universität Göttingen belegt nicht nur, dass die Gentechnik segensreich ist, sondern gleichzeitig, dass Deutschland Standort ist von überragender wissenschaftlicher Kreativität und Heimat „genialer Konstrukteure und Naturforscher“ (Naturfreund von vorhin). Diese genial konstruierte Studie bewies dann, dass „Landwirte mit Einsatz der Gentechnik 22 Prozent mehr ernten und 37 Prozent weniger chemische Pestizide zum Einsatz kommen“. Hoppla! Hatte der „Naturfreund“ also doch recht, oder?

Meine eigenen Recherchen kommen hier zwar zu einem signifikant anderen Ergebnis: Genpflanzen sollen Pestizideinsatz reduzieren – Wahnsinn mit Methode? Aber lassen wir das für den Moment einmal so stehen. Denn der Focus-Artikel tönt weiter: „ Und dieses Ergebnis – wenn auch mit anderen Zahlen – gilt nicht nur in Deutschland, sondern auch in Entwicklungsländern wie Indien, obwohl gerade hier Aktivisten unermüdlich versuchen, den Bauern einzureden, sie würden in die Abhängigkeit von Saatgutkonzernen getrieben, was ebenso als falsch zu erkennen ist, wenn man hinschaut und seine ideologischen Scheuklappen abnimmt.

Ich würde es auch begrüßen, wenn ideologische Scheuklappen aus dem Spiel genommen würden. Denn dann käme es auch in diesem Bereich zu signifikant anderen Ergebnissen: Ein Gentechnik-Konzern und die indischen Selbstmörder. Einfach die aufgezählten Sachverhalte bezüglich der Abhängigkeiten von den Saatgutkonzernen als ideologisch zu bezeichnen, halte ich für eine bodenlose Frechheit. Die zunehmende Zahl der Selbstmorde bei den Bauern in Indien ist also nur reine Ideologie?

Aber Halt! Wir haben da ja noch die eben erwähnte Studie, die uns sicherlich mehr Aufschluss geben kann über die im Focus-Artikel gemachten Aussagen: A Meta-Analysis of the Impacts of Genetically Modified Crops.

Als wenn ich es nicht geahnt hätte: Immer wenn man etwas beweisen will, was man auf wissenschaftliche Art nicht beweisen kann, dann greift man zur Meta-Analyse. Wo sonst immer nach Evidenzbasiertheit geschrien wird, ist man hier auf einmal nicht mehr so laut unterwegs. Um es vorwegzunehmen: Diese Studie ist nicht der Rede wert. Und Beweiswert hat sie nur bei denen, die ideologische Scheuklappen tragen und borniert vom gentechnischen Hobbit-Idyll träumen. Denn die Arbeit selbst gibt zu erkennen, dass hier gewaltige Einschränkungen bestehen, die jeden wissenschaftlichen Wert vernichten: „Several of the original studies did not report sample sizes und measures of variance“. Auf Deutsch: Eine Reihe der Originalstudien machten keine Angaben zur Größe der Proben und der Varianzmessung. Solche Arbeiten sind nicht nur nicht wissenschaftlich, sondern fast reine Zeitverschwendung. Aber die Autoren der Arbeit kommen trotzdem zu dem Schluss, dass die Ergebnisse einen überzeugenden Beweis für die Vorteile der GMOs sind.

Statistische Zusammenhänge sind, wo auch immer, nie ein Beweis und über eine Meta-Analyse werden sie bestenfalls ein Beweis für die geniale kreative Fähigkeit dieser deutschen Wissenschaftler, sich mit Legoland-Wissenschaft bei der Gen-Industrie einzuschmeicheln. Was das wissenschaftliche Niveau solcher Veröffentlichungen angeht ist das unterste Schublade. Aber vielleicht wandern die Autoren ja auch bald ins Ausland aus.

Auch die im Artikel zitierte Aussage „mit genveränderten Pflanzen sind weniger Fehler möglich“, beweisen Focus und Göttinger, dass sie von den genetischen Grundlagen und der Unwägbarkeit der gentechnischen Behandlung keine Ahnung haben. Denn das Einsetzen der Fremdgene in die Pflanzengene ist keine exakte Angelegenheit wie das Einsetzen eines Rädchens in eine Schweizer Uhr. Denn hier wird per Genkanone genetisches Material in die Pflanzen-DNA geschossen und man hofft, dass sich die Fremd-DNA irgendwo festsetzt. Da frage ich mich, wie unter einem solchen lotterieartigen Vorgehen weniger Fehler möglich sind. Wer das behauptet, der muss entweder vollkommen ahnungslos sein oder ideologisch Scheuklappen tragen oder gleich beides beherrschen.

Ein Focussiertes Fazit

Der Focus-Artikel endet so: „Das Unkraut auf dem Acker besiegen – das geht immerhin. Den Unsinn in eigenen Kopf besiegen – das macht mehr Mühe und wird in Deutschland noch lange nicht gelingen. Man lässt sich doch sein schönes Feindbild nicht so einfach nehmen. Mal sehen, welche blöde Behauptung demnächst auftaucht, um die positiven Effekte der Gentechnik aus den Medien zu bannen.

Mein Artikel endet so: Das Unkraut auf dem Acker ist kein Argument. Den Unsinn im eigenen Kopf besiegen – das macht mehr Mühe und wird dem Focus noch lange nicht gelingen. Man lässt sich doch sein schönes Freundbild von den GMOs nicht so einfach nehmen. Mal sehen, welche blöde Studie und welche saudoofen Argumente demnächst auftauchen, um die positiven Effekte der Gentechnik weiterhin ideologisch und wirtschaftlich zu beweihräuchern.

Unser Naturfreund sprach von den Segnungen der Technik („Vorsprung durch Technik“) und der Gentechnik in der Medizin. Insofern ist der Beitrag von Herrn Miersch absolut überzeugend, logisch, brilliant und FALSCH.

Es wird hier einfach wieder unterstellt, dass es hier um Gesundheit ginge. Nein, es geht um Folgendes: Gentherapie-Medikament – Jede Spritze 54.000 Euro.

Und wie es in der Welt der Gen-Industrie noch so zugeht, das können Sie hier nachlesen:

Bei so viel „Technik“ komme ich dann doch wieder auf meine oben bereits gemachte Aussage zurück: Ich wundere mich, dass es in Nordeuropa überhaupt noch einen Kranken gibt…