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Betazellen aus Labor machen Diabetikern Hoffnung

Diabetes-Patienten können hoffen. Forscher haben Betazellen gezüchtet, die Insulin abgeben. Das könnte die Behandlung von Diabetes 1 deutlich verbessern, glauben unabhängige Experten.

Von Walter Willems

Es könnte ein Meilenstein auf dem Weg zur Therapie von Diabetes Typ 1 werden. Zwei Forscherteams haben unabhängig voneinander im Labor Betazellen der Bauchspeicheldrüse gezüchtet, die auf Glukose reagieren und Insulin produzieren. Beide Gruppen aus den USA und der Schweiz nutzten unterschiedliche Verfahren, um aus humanen Stammzellen Betazellen zu entwickeln.

Bei gesunden Menschen sondern die Betazellen der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) bei Spitzen im Blutzuckerspiegel Insulin ab, um die Werte wieder zu senken. Diese Funktion ist bei Menschen mit Diabetes Typ 1 gestört. Ihr Immunsystem zerstört diese Zellen, und sie benötigen Insulin. Wenn man den Patienten dann aber funktionsfähige Betazellen einpflanzt, die von ihnen selbst stammen, könnte das helfen, die Erkrankung zu therapieren.

 

Forscher setzen auf Stammzellen

 

Um solche Zellen zu gewinnen, setzen die Forscher auf Stammzellen, die zu sehr vielen Zelltypen reifen können, etwa Haut-, Muskel- oder Nervenzellen. Bislang hatten Wissenschaftler menschliche Stammzellen nur bis zu einem Vorläuferstadium der Betazellen entwickelt.

Die Betazellen der Bauchspeicheldrüse müssen zwei Dinge tun können, um effektiv zu arbeiten: auf Glukose reagieren und Insulin produzieren. "Bis jetzt hat es niemand geschafft, von menschlichen Patienten Pankreas-Zellen zu schaffen, die beides können", sagt Ronald Evans, Leiter der US-Gruppe vom Salk Institut im kalifornischen La Jolla.

 

Neue Ära für Therapien

 

Mit im Labor gezüchteten Betazellen, die von den jeweiligen Patienten selbst stammen, könne man viele der derzeitigen Probleme vermeiden, schreibt das Team. "Diese Arbeit bringt uns in eine neue Ära, in der wir funktionierende Betazellen nach Belieben schaffen können", sagt Evans, dessen Forschergruppedie Ergebnisse in der Zeitschrift "Cell Metabolism" veröffentlichte.

Um Faktoren zu finden, die für funktionstüchtige Betazellen wichtig sind, verglichen die Forscher um Evans zunächst die genetische Ausstattung von sehr jungen und adulten Betazellen. Dabei stießen sie auf einen wichtigen Schalter für die Stoffwechselaktivität adulter Betazellen: den Rezeptor ERRγ (Estrogen-Related Receptor gamma).

 

Betazellen müssen schnell Insulin bilden

 

In Muskeln regt ERRγ das Wachstum der Mitochondrien an und fördert die Oxidation von Zuckern und Fetten, um Energie zu erzeugen. "Es war überraschend, dass Betazellen große Mengen dieses Reglers produzieren. Aber sie müssen auch schnell viel Insulin bilden, um die Glukosewerte zu kontrollieren", sagt Evans. Das Team zeigte dann, dass Betazellen von Mäusen, denen ERRγ fehlt, nicht auf Glukose im Blut reagierten und kein Insulin freisetzten.

Danach arbeiteten die Forscher mit sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen). Diese lassen sich durch gezielte Manipulation in verschiedene Zelltypen umwandeln.

 

Protein als Schlüssel

 

Das Team gewann aus diesen Stammzellen, die von Endothelzellen stammten, Vorläufer von Betazellen. Tatsächlich erwies sich das Protein ERRγ als Schlüssel zur weiteren Zellreifung. Anschließend setzten die Zellen Insulin frei, wenn die Glukose-Menge in ihrer Umgebung anstieg.

 

In einem weiteren Schritt pflanzte das Team diese Zellen Mäusen mit einer einfachen Form von Diabetes 1 ein. Deren Zustand besserte sich schnell, und die Tiere waren in der Lage, den Blutzuckerspiegel zu kontrollieren. Mit dem Verfahren könne man aus Zellen von Patienten leicht, schnell und kostengünstig Betazellen gewinnen, betonen die Autoren.

Bisher kann man Diabetespatienten zwar mit sogenannten Inselzelltransplantationen Zellverbände aus Bauchspeicheldrüsen einpflanzen. Aber das Material ist äußerst begrenzt, und die Empfänger müssen Immunsuppressiva einnehmen, um Abstoßungsreaktionen zu verhindern – abgesehen von den Risiken des Eingriffs. Genau das soll nun verbessert werden.

 

Zweite Studie mit ähnlichem Ergebnis

 

In der zweiten, fast zeitgleich veröffentlichten Studie untersuchten Forscher um Martin Fussenegger von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich Stammzellen, die aus dem Fettgewebe eines 50-jährigen Menschen stammten.

Diese manipulierten sie zu bestimmten Zeitpunkten mit drei Transkriptionsfaktoren so, dass sie ebenfalls zu funktionsfähigen Betazellen reiften. Allerdings entspreche die Menge des abgegebenen Insulins nicht der von natürlichen Betazellen, räumen die Wissenschaftler im Fachblatt "Nature Communications" ein.

 

"Großer Schritt nach vorn"

 

"Die beiden Gruppen haben einen großen Schritt nach vorne gemacht und das Feld deutlich vorangebracht", sagt Annette Schürmann vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) Potsdam-Rehbrücke. Nun müssten andere Teams die Arbeiten bestätigen.

Zudem müssten Studien über längere Zeiträume zeigen, ob das Einpflanzen der umprogrammierten iPS-Zellen sicher sei und nicht etwa mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergehe. Denn das haben beide Studien bislang noch nicht geprüft.

Bis der Ansatz – sollte er sich in weiteren Studien bewähren – für eine Anwendung am Menschen infrage komme, würden noch mindestens fünf Jahre vergehen, schätzen Experten der Deutschen Diabetes-Gesellschaft.

 
dpa/krö