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Mit Vitamin D gegen die Bürokratie

Ostschweizer Hausärzte machen einen Selbstversuch mit Vitamintropfen und geraten deswegen ins Visier von Swissmedic. Nun droht ihnen eine Busse.

Bild: Felix Schaad

 

Eine Posse vom Feinsten:

Hausärzte beschliessen einen Selbstversuch mit harmlosen Vitamintropfen und werden dafür von Kontrollbeamten wohl mit gegen 20'000 Franken gebüsst – während ihnen gleichzeitig der Chef der Gesundheitsbehörden für die Aktion dankt. Den Darstellern des Schwanks, der zurzeit in der Schweiz über die Bühne geht, ist allerdings nicht zum Lachen zumute. Bei der Auseinandersetzung geht es darum, dass hierzulande gesetzliche Hürden zu hoch sind, sodass Medikamentenstudien ohne finanzkräftige Pharmafirmen häufig unmöglich sind.

Hauptdarsteller ist Markus Gnädinger. Der Hausarzt aus Steinach am Bodensee hat vor einem Jahr eine Idee für eine Studie. Er will herausfinden, ob bestimmte Nahrungsmittel im Darm die Aufnahme von Vitamin D beeinflussen. Es ist ein praxisrelevantes, kaum untersuchtes Thema. Vor allem unter den älteren Hausarztpatienten finden sich viele, die in den dunklen Wintermonaten zu wenig Vitamin D bekommen, weil ihrem Körper das Sonnenlicht für die Herstellung fehlt.

 

Komplexes Formular

 

Auf den ersten Blick eine ideale Studie für die Hausarztpraxis. Hier finden sich nicht nur betroffene Patienten, es handelt sich bei Vitamin D auch um eine Substanz, die selbst bei Coop oder Migros erhältlich ist. Doch der Schein trügt, wie Gnädinger schnell herausfindet. Die zuständige Ethikkommission des Kantons St. Gallen teilt ihm mit, dass für seine Studie nach Gesetz eine sogenannte Notifikation beim Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedicerforderlich sei. Es handelt sich dabei um ein aufwendiges Formular, für das zahllose Seiten mit Richtlinien und Präzisierungen studiert werden müssen. Ebenfalls sollten Gnädinger und beteiligte Ärzte einen zweitägigen Kurs in «Good Clinical Practice» besuchen sowie eine kostspielige Haftpflichtversicherung für die Versuchsteilnehmer abschliessen.

Diese Auflagen sind für Gnädinger zu hoch. Als Ausweg schlägt er der Ethikkommission vor, zusammen mit Hausarztkollegen den Versuch an sich selber durchzuführen. Doch selbst das ändert nichts an den Vorgaben. «Halb im Spass, halb im Ernst diskutierten wir die Sache», sagte Gnädinger. Am Ende beschliessen die Mediziner, den Selbstversuch dennoch durchzuführen – ohne Rücksicht auf gesetzliche Hürden.

Auch wenn es so erscheinen mag – die aktuellen Gesetze sind nicht als Schikane für Forscher gedacht. Sie sollen sicherstellen, dass bei Medikamentenstudien die wissenschaftliche Qualität gesichert ist und Studienteilnehmer nicht zu Schaden kommen. Doch sind dadurch die administrativen Auflagen nicht nur für Hausärzte zu hoch geworden. Ohne die Unterstützung finanzkräftiger Pharmaunternehmen ist es auch an grossen Spitälern immer schwieriger, entsprechende Studien durchzuführen. Anfang 2014 wird ein neues Humanforschungsgesetz in Kraft treten. Die zugehörige Verordnung soll zwar den gegenwärtigen Missstand lindern. Doch auch der aktuelle Entwurf würde Projekte wie die Ostschweizer Vitamin-Studie verhindern.

 

75-fache Tagesdosis Vitamin D

 

Ende 2011 verstossen Gnädinger und seine zwölf Mitstreiter gegen das Gesetz: Jeder schluckt eine 75-fache Tagesdosis Vitamin D – in einer Versuchsreihe ohne etwas gegessen zu haben, in der zweiten Serie nach einer fettreichen Mahlzeit. Nach jeweils acht Tagen bestimmen sie im Blut, wie viel Vitamin D sie aufgenommen haben. Die Resultate der Studie sind erwartungsgemäss nicht gerade durchschlagend: Es zeigen sich grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Teilnehmern und ein möglicher geringfügiger Einfluss fetthaltiger Mahlzeiten auf die Vitamin-Aufnahme. Für den Verlauf der Geschichte spielt das aber keine Rolle.

Tollkühn macht Gnädinger seine illegale Studie in der einschlägigen Zeitschrift «Swiss Medical Forum» und später auch in der «Schweizerischen Ärztezeitung» publik. Nun sehen sich die Mitarbeiter von Swissmedic gezwungen, einzuschreiten. Der Verstoss der Hausärzte sei zu gravierend, um von einem Strafverfahren abzusehen, bestätigt das Heilmittelinstitut auf Anfrage. Rechtsanwalt Marco Amstutz von der Abteilung Strafrecht eröffnet am 4. Dezember 2012 ein Verwaltungsstrafverfahren. Es droht eine Busse von bis zu 5000 Franken mit allfälligem Strafregistereintrag für jeden der teilnehmenden Ärzte.

 

Der Bund bedankt sich

 

Einige Wochen später erhält die Geschichte einen überraschenden Schwenker: Pascal Strupler, Direktor des Bundesamts für Gesundheit (BAG), meldet sich bei Gnädinger mit einer Stellungnahme, verfasst im Auftrag von Bundesrat Alain Berset. Nach einigen aufmunternden Zeilen anerkennt er den Gesetzesverstoss: «Besten Dank nochmals für Ihre konstruktive Initiative, die dem Forschungsplatz Schweiz förderlich ist.»

Gnädinger vermag dies nur wenig zu trösten, denn auf das Strafverfahren haben sie keinen Einfluss. Kurze Zeit später, am 7. Februar, muss er bei Swissmedic in Bern zu einer dreistündigen Einvernahme antraben. Seither wartet er auf den Strafbescheid. Er schätzt, dass die Bussen für ihn und seine Kollegen inklusive Verfahrenskosten rund 15'000 bis 20'000 Franken betragen werden.

Zwar belustigt Gnädinger die Geschichte in ihrer Absurdität. Er empfindet sie aber auch zunehmend als belastend – finanziell, zeitlich und auch mental. Trotzdem ist er froh, die Studie lanciert und auf das Problem aufmerksam gemacht zu haben: «Ich hätte mir sonst später Vorwürfe gemacht.» Ob es sich gelohnt hat, wird sich zeigen: Das BAG versichert zwar auf Anfrage, Gnädingers Anliegen zu berücksichtigen. Doch zu konkreten Fragen nimmt die Behörde keine Stellung. Gnädinger bleibt auf alle Fälle skeptisch. (Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 18.03.2013, 08:38 Uhr)