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Arzneimittelreport: 

Medikamente in Deutschland sind viel zu teuer

Von Markus Grill

Deutschland wird seinem schlechten Ruf als Hochpreisland für Medikamente weiterhin gerecht, das zeigt der neue Arzneiverordnungsreport. Mit ähnlichen Preisen wie in den Niederlanden könnten rund 30 Prozent der deutschen Arzneimittelausgaben eingespart werden.


 

Medikamente in einer Apotheke: Warum sind die Preise in Deutschland so hoch?

Der Arzneiverordnungsreport (AVR) ist die Statistikbibel der Gesundheitsökonomen: Er erscheint jeden Herbst und wertet alle Rezepte der gesetzlich Krankenversicherten aus. Im vergangenen Jahr waren das immerhin 784 Millionen Verordnungen. Außerdem geben die Autoren des Reports eigene Untersuchungen in Auftrag, wie in diesem Jahr den Preisvergleich mit den Niederlanden. Demnach kostet:

 

  • Eine Packung des Rheumamittels Humira in Deutschland 5231 Euro und damit 55 Prozent mehr als in einer niederländischen Apotheke, wo die Packung nur 3384 Euro kostet.
  • Das Asthmamedikament Symbicort in Deutschland 50 Prozent mehr als in den Niederlanden (228 statt 152 Euro)
  • Eine Packung des Schmerzmittels Lyrica von Pfizer in Deutschland 169 Euro, in Holland dagegen nur 99 Euro, mithin ein Aufschlag von 71 Prozent

 

 
Die Pharmaindustrie argumentiert gern, dass man Arzneimittelpreise in Europa nicht vergleichen könne, weil Packungsgröße, Mehrwertsteuer, Zwangsrabatte und Apothekergebühren in jedem Gesundheitssystem unterschiedlich seien. Die Undurchsichtigkeit der Medikamentenpreise sei deshalb leider unvermeidlich.

Ulrich Schwabe, emeritierter Pharmakologe der Uni Heidelberg und Co-Autor des AVR sagt dagegen, dass man die Unterschiede dennoch einrechnen könne. So müssen in Deutschland Pharmaunternehmen derzeit den Kassen einen Rabatt von 16 Prozent gewähren, außerdem beträgt die Mehrwertsteuer 19 Prozent statt sechs Prozent wie in den Niederlanden. Trotzdem seien die Preise der meisten Präparate in Deutschland immer noch teurer als in den Niederlanden. Eine Hochrechnung auf den gesamten Markt für patentgeschützte Arzneimittel "ergibt ein Einsparpotential von 1,6 Milliarden Euro, wenn der deutsche Nettopreis und der niederländische Erstattungspreis zugrunde gelegt werden", schreibt Schwabe im neuen Report.

Noch größere Preisunterschiede als bei den Originalpräparaten haben die Autoren bei Generika ermittelt, also jenen Arzneimitteln, die nach Ende der Patentlaufzeit von Firmen wie Hexal, Ratiopharm oder Stada nachgebaut werden. "Ohne die in beiden Ländern unterschiedliche Mehrwertsteuer für Arzneimittel sind die deutschen Preise immer noch 42 Prozent höher", heißt es im Report. So kostet etwa eine Packung des Magenmittels Pantoprazol Heumann in Deutschland 33,26 Euro, in den Niederlanden aber nur 8,42 Euro - einschließlich der dortigen Apothekengebühr von 6,10 Euro.

Allerdings handelt es sich hier um einen Vergleich der Listenpreise. In Deutschland haben viele Generikafirmen inzwischen Rabattverträge mitKrankenkassen geschlossen, bei denen beide den tatsächlich gezahlten Preis geheim halten.

Kritik an der Gesundheitspolitik in Deutschland

Kritik üben die Autoren des AVR auch an der Gesundheitspolitik in Deutschland. So sei die einheitliche Zuzahlung von mindestens fünf Euro in der Apotheke bei preisgünstigen Generika kontraproduktiv. Der Report schlägt vor, die deutschen Apotheker wie in den Niederlanden gesetzlich zu verpflichten, das jeweils günstigste Generikum abzugeben - und die Zuzahlung der Patienten dafür abzuschaffen.

Der neue Report vermeldet auch ein paar positive Trends: So seien die Ausgaben der Krankenkassen für Präparate mit umstrittener Wirksamkeit weiter rückläufig und im vergangenen Jahr um sechs Prozent auf nur noch 660 Millionen Euro gefallen.

Auch insgesamt seien die Ausgaben der Kassen für Arzneimittel um 1,2 Milliarden auf 30,9 Milliarden gesunken. Doch dieser Rückgang sei einzig dem Zwangsrabatt von 16 Prozent zu verdanken, den die Hersteller derzeit zahlen müssen. Im kommenden Jahr schmilzt der Abschlag auf sechs Prozent, deshalb werden die Ausgaben danach wieder steigen. Bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres stiegen die Kosten wieder um 480 Millionen auf 15,8 Milliarden Euro. Davon entfallen allein 190 Millionen Euro auf drei neue Arzneimittel (Gilenya, Incivo und Zytiga) mit Jahrestherapiekosten von 30.000 bis 44.000 Euro pro Patient.

Warum sind die Preise in Deutschland so hoch?

Warum aber sind die Preise in Deutschland überhaupt so hoch? Der Hauptgrund sei, so schreiben die Autoren des AVR, dass Deutschland neben Dänemark und Malta bis 2011 eines der wenigen europäischen Länder war, das keinerlei Preiskontrollen für neue Arzneimittel kannte. Die Industrie durfte die Preise einfach frei festlegen.

Dies hat sich erst 2011 mit dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) geändert. Seither bewerten die unabhängigen Wissenschaftler des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) jede Neuheit und prüfen, ob ein neues Präparat lediglich über eine neue chemische Formel verfügt oder auch einen therapeutischen Fortschritt für Patienten bringt.

Von den 23 Arzneimitteln des Jahres 2011 wurde nur 14 Präparaten ein solcher Zusatznutzen bescheinigt. Über diese Präparate verhandeln nun die Hersteller mit den Krankenkassen um einen angemessenen Preis. Präparate ohne Zusatznutzen dürfen künftig nur noch so teuer sein wie vergleichbare Präparate, die sich bereits auf dem Markt befinden.

Das Problem ist jedoch, dass das IQWiG nicht die Kapazität hat, alte Medikamente zu überprüfen. Schade, denn die Autoren des AVR 2012 beziffern das Einsparpotential allein der zehn größten Scheininnovationen mit 1,3 Milliarden Euro. Würde man all diese sogenannten Analogpräparate, die Ärzte vor allem aufgrund von Einflüsterungen der Pharmaindustrie verordnen, durch wirkungsgleiche Alternativen ersetzen, ließen sich 2,8 Milliarden Euro im Jahr einsparen, sagt Pharmakologe Schwabe.

Doch das IQWiG verfügt derzeit gerade mal über einen Haushalt von 17,5 Millionen Euro und ist mit der Nutzenbewertung neuer Medikamente vollkommen ausgelastet. Zum Vergleich: Das National Institute of Health and Clinical Excellence (NICE) in Großbritannien hat viermal so viele Mitarbeiter wie das IQWiG und einen Haushalt von 98 Millionen Euro. In den USA hat die Regierung Obama vor drei Jahren sogar 1,1 Milliarden Dollar für die entsprechende vergleichende Medizinforschung zur Verfügung gestellt.