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Massive Kritik an Diabetes-Studien

 
16. Juli 2015, 11:25    Der Standard.at
 
 

Wissenschafter konnten zeigen, dass ein beträchtlicher Teil der Studien über Diabetes-Medikamente von buchbaren Schreibbüros verfasst wird

Bochum – Durch die Zunahme von Adipositas steigt auch die Anzahl der Typ-2-Diabetiker. Schätzungen zufolge sind weltweit rund 400 Millionen Menschen betroffen. Bis zum Jahr 2030 dürfte sich deren Anzahl auf knapp 600 Millionen Patienten erhöhen. Für Pharmakonzerne ein Milliardenmarkt. Die für die Entwicklung und Zulassung von Diabetesmedikamenten zugrunde liegenden wissenschaftlichen Studien sind laut einer Untersuchung, die kürzlich im "British Medical Journal" (BMJ) erschienen ist, zum Teil "zwielichtig". Die Vorwürfe: Wenige Autoren publizieren viel, Pharma-Angestellte und Schreibbüros scheinen die Regel zu sein.

"Super-Trialisten (Vielschreiber von Studien; Anm.) beherrschen die Literatur über Diabetesmedikamente", heißt es in einem Blog der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Helmut Schatz, der Autor, bezieht sich dabei auf die Analyse im "BMJ". Die Wissenschafter analysierten dazu Publikationen von randomisiert kontrollierten Studien über blutzuckersenkende Medikamentevon 1993 bis 2013.

Schreibagenturen weit verbreitet

Die US-Wissenschaftsdatenbank PubMed enthält für den Zeitraum 1993 bis 2013 insgesamt 3.782 Artikel von 13.592 Autoren über neue blutzuckersenkende Substanzen. Davon wurden die 110 "profiliertesten" Autoren ausgewählt, die 991 der Studien veröffentlicht hatten.

Das Ergebnis: Von den 110 "Top-Autoren" wurden im Schnitt 20 Arbeiten publiziert (Range von vier bis 47). Bei 11 Verfassern waren es im Mittel sogar 42 Arbeiten (Range: 36 bis 77). 48 der 110 "Top-Autoren" waren Angestellte pharmazeutischer Unternehmen. Von den 991 Studien waren 906 kommerziell gesponsert. Bei 704 Artikeln war ein Interessenkonflikt zu konstatieren.

Ein beträchtlicher Teil der wissenschaftlichen Texte entstand in buchbaren Schreibbüros. Das heißt: Schreibagenturen wurde in 439 Fällen (44 Prozent) gedankt. Nur 42 Studien (sechs Prozent) konnten als völlig unabhängig eingestuft werden.

Wichtige Informationen fehlen

Das International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE) hat vier Kriterien für eine Autorenschaft aufgestellt, die alle erfüllt sein müssen: Wesentlicher Beitrag zu Planung, Ablauf, Beschaffung, Analyse oder Interpretation der Daten. Manuskriptentwurf oder Revision des Artikels. Finale Approbation vor Veröffentlichung. Verantwortlichkeit für die Richtigkeit und Vollständigkeit.

Diese Kriterien waren nur bei 21 Prozent der Studien vollständig erfüllt. "Es wurden weiterhin oft Namen von 'Honorary Authors' ohne wesentlichen Beitrag genannt, umgekehrt wurden Namen von 'Ghost Authors' weggelassen. Auf internationalen Kongressen wie etwa dem Europäischen Diabeteskongress in Wien 2014 wurden in manchen Plenarvorträgen zu neuen Antidiabetika jedoch mitwirkende Schreibagenturen schon erwähnt", schreibt der Bochumer Endokrinologe Helmut Schatz in seinem Blog.

Die Ghostwriter würden zwar in ihren Manuskripten keine Fehler oder nicht zutreffende Aussagen machen. "Sie lassen aber zum Teil wichtige Informationen aus", so Schatz. "Die Formulierungen waren so gewählt, dass man ungünstige Befunde oder negative Tatsachen etwa über neue Diabetesmedikamente beim üblichen Durchlesen kaum oder nicht bemerkte, wenn man sie nicht schon vorher schon gekannt hatte", ergänzt der Mediziner, der eigenen Angaben zufolge Angebote auf Autorenschaft von Artikeln für Schreibagenturen abgelehnt hatte. (APA, red, 16.7.2015)