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Normal korrupt

Von Grill, Markus

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs war mit Spannung erwartet worden. Nun ist klar: Ärzte dürfen weiterhin Schmiergeld kassieren.

Der vergangene Freitag war ein schöner Tag für alle, die gern mal einen Arzt bestechen. Sie mussten sich in den zurückliegenden Monaten schon große Sorgen machen: Die Zahl der Gerichtsurteile gegen niedergelassene Ärzte, die Schecks, zum Beispiel von Ratiopharm, kassiert hatten, war gestiegen.

Diesen Urteilen entzog der Bundesgerichtshof (BGH) mit seiner erstaunlichen Entscheidung nun den Boden. Am Freitag urteilten die Bundesrichter zusammengefasst so: Schmiergeld an Ärzte bleibt weiterhin erlaubt, weil wir im ganzen Strafrecht keinen Paragrafen gefunden haben, der es verbietet.

Entsprechend erleichtert reagierte die Pharmaindustrie: Nur elf Minuten nach Bekanntgabe des BGH-Entscheidung erklärte der von ihr betriebene Verein "Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie" zufrieden, dass "nun erstmals Rechtssicherheit einkehrt".

Eine Stellungnahme von Polizisten und Staatsanwälten ist nicht bekannt. Für sie bedeutet das Urteil einen Schlag ins Gesicht, ebenso wie für alle Korruptionsermittler bei den Krankenkassen.

Geklagt hatte vor dem Bundesgerichtshof eine Außendienstmitarbeiterin von Ratiopharm. Im Jahr 2005 war bekannt geworden, dass der Arzneimittelhersteller mit Sitz in Ulm systematisch Ärzte mit Schecks belohnt hatte, wenn sie ihren Patienten bevorzugt Ratiopharm-Pillen verschrieben. Die Ärzte konnten fünf Prozent vom Umsatz pro Packung erhalten.

Auch die Pharmareferentin hatte fleißig Schecks an die Ärzte verteilt, die sie betreute. Einem davon hatte sie mehr als 10 000 Euro zukommen lassen. Das Landgericht Hamburg verurteilte den Arzt deshalb wegen Bestechlichkeit, die Pharmareferentin wegen Bestechung. Der Arzt akzeptierte das Urteil, die Ratiopharm-Mitarbeiterin hingegen zog vor den BGH.

Die höchstrichterliche Entscheidung lautet nun: Niedergelassene Ärzte sind weder Amtsträger noch Beauftragte der Krankenkassen, mithin können sie sich nicht wegen Korruption strafbar machen. Und die Pharmareferenten können deshalb auch nicht wegen Bestechung verurteilt werden.

Das Urteil wird eine verheerende Wirkung entfalten. Denn im Gesundheitswesen gibt es nicht nur einzelne schwarze Schafe, sondern ein ebenso cleveres wie weitverbreitetes Schmiergeldsystem, von dem Ärzte, Apotheker und Sanitätshäuser profitieren.

Allein im Fall Ratiopharm hatte die Staatsanwaltschaft mehr als 3000 Verfahren gegen Ärzte und 400 gegen Ratiopharm-Mitarbeiter eröffnet. Natürlich haben Firmen wie Ratiopharm nicht wirklich etwas zu verschenken: Das Unternehmen konnte nur deshalb so großzügig sein, weil die Pillen, für die die Ärzte die Belohnung kassierten, im Vergleich zu denen anderer Hersteller teurer waren.

Dass viele Ärzte kein Unrechtsbewusstsein haben, wenn sie Belohnungen von der Pharmaindustrie erhalten, ist schon erstaunlich, denn solche Geschenke verstießen bereits bisher klar gegen die ärztliche Berufsordnung. Dort heißt es im Paragrafen 31 unmissverständlich: "Ärzten ist es nicht gestattet, sich für die Verordnung von Arzneimitteln ein Entgelt oder andere Vorteile gewähren zu lassen."

Dennoch hat Frank Ulrich Montgomery, heute oberster Ärztefunktionär in Deutschland, schon vor zweieinhalb Jahren die Schmiergeldzahlungen von Ratiopharm verteidigt, "weil es nicht strafbar war, was da geschah". Montgomery behauptete sogar, das sei "ein ganz normales, natürliches Verhalten".

Derzeit laufen bundesweit Ermittlungen gegen Krebsärzte, die sich von Pharmafirmen oder Apotheken haben schmieren lassen, um bestimmte Krebsmedikamente zu verordnen. Wieso sollen diese Verfahren jetzt, nach diesem Urteil, noch weitergeführt werden?

Auch einzelne Mitglieder des Großen Senats des Bundesgerichtshofs halten den Persilschein ihrer Kollegen für ein verheerendes Signal: Sie wollten niedergelassene Ärzte den Klinikärzten gleichstellen, für die die Annahme von Schmiergeld seit je verboten ist. Doch diese Richter waren in der Minderheit.

Weil sie keinen Paragrafen fanden, der Schmiergeld verbietet, schreiben die Richter in ihrer Erklärung: "Darüber zu befinden, ob Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig ist, ist Aufgabe des Gesetzgebers."

Doch es ist offensichtlich, dass gerade die schwarz-gelbe Regierung kein Interesse hat, die Bestechlichkeit von niedergelassenen Ärzten unter Strafe zu stellen. Im Gegenteil. Falls die Bundesrichter tatsächlich den Korruptionsparagrafen auch auf diese Ärzte anwenden würden, so hatte der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/ CSU-Fraktion, Jens Spahn, vor der BGH-Entscheidung gedroht, "werden wir das rechtlich so klarstellen, dass ein solches Urteil künftig anders aussehen müsste".

Die Richter haben nun so entschieden, wie er wollte. Auch für Jens Spahn war der vergangene Freitag ein schöner Tag.